R. Houghton (Hrsg.): Teaching the Middle Ages through Modern Games

Cover
Titel
Teaching the Middle Ages through Modern Games. Using, Modding and Creating Games for Education and Impact


Herausgeber
Houghton, Robert
Reihe
Video Games and the Humanities
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 306 S.
Preis
€ 77,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joana Hansen, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Der hier zu besprechende Band, der aus einer Reihe von Sektionen des International Medieval Congress in Leeds 2019 entstanden ist, präsentiert verschiedene Ansätze für den Einsatz von hauptsächlich digitalen Geschichtsspielen in der vornehmlich universitären Lehre. Der Band umfasst fünf Sektionen mit insgesamt 13 Beiträgen, von denen hier jeweils einer pro Sektion besprochen wird: In Sektion I wird mit insg. einem Beitrag der Lerneffekt von Spielen betrachtet und hierfür die Rolle der Lernenden in den Vordergrund gerückt. Während in der II. Sektion des Bandes Beispiele für den Einsatz von kommerziellen Spielen in der Lehre gegeben werden, beschäftigt sich der III. Teil mit Spielen, die von den Lehrenden entwickelt worden sind. In Sektion IV wird behandelt, wie sowohl kommerzielle als auch von Lehrenden entwickelte Spiele von Lernenden modifiziert werden können, um historische Argumente nachvollziehen zu können. Der letzte Teil des Bandes betrachtet das Potenzial von Games außerhalb von dezidierten Lerninstitutionen wie Schule und Hochschule.

Eve Stirling und Jamie Wood setzen in ihrem Aufsatz „Learning about the Past Through Digital Play: History Students and Video Games“ die Studierenden in den Fokus und betrachten sie explizit als aktive Akteur:innen ihres Lernens, weniger als passive Konsument:innen von Videospielen. Innerhalb ihres Kurses mussten Studierende ein learning log über ihre Spielerfahrungen führen, die von Stirling und Wood in drei Kategorien und mit exemplarischen Auszügen aufgeführt werden: Motivation der Studierenden, ihre Spielerfahrungen sowie ihre Reflexionen darüber, was Studierende als Lernerfolge sowohl hinsichtlich ihres historischen Wissens als auch hinsichtlich der Art ihres Lernens angesehen haben. Stirling und Wood fragen also nicht nur danach, was Studierende mithilfe von Spielen über Geschichte lernen, sondern rücken verstärkt das „wie“ in den Vordergrund und verfolgen damit einen Ansatz, der zunehmend in den Blick genommen wird und auch weiterhin zusätzlichen Studien bedarf.

Ahmet Erdem Tozuğlu und Mehmet Şükrü Kuran („‘What if you are a Medieval Monarch?‘: A Crusader Kings III Experience to Learn Medieval History“) haben für ihren Kurs ein ähnliches Modell gewählt, nutzten von vornherein drei kommerzielle Spiele vom Hersteller Paradox Games, Crusader Kings II & III und Europa Universalis IV, und kombinierten die Spielesessions der Studierenden mit Vorlesungen und Kursdiskussionen. Der Kurs richtete sich außerdem dezidiert an Studierende, deren Hauptfach nicht Geschichte war. Begleitend zu einer Vorlesung, in der Konzepte wie Periodisierung, Historiographie und explizit zum Mittelalter Themen wie christlich-feudale Dynastien besprochen wurden, sollten Studierende jeweils nach ihren Spielsessions Blogbeiträge auf einer gemeinsamen Plattform veröffentlichen, in denen sie über ihre Spiel- und Lernerfahrungen reflektierten. Ähnlich wie bei Stirling und Wood haben die Studierenden auch im Kurs von Tozuğlu und Kuran angegeben, dass das erfahrungsbasierte, immersive Lernen für sie sehr effektiv war. Die Autoren führen außerdem an, dass sie durch das Spielen eine höhere Sensibilität für die komplexen Zusammenhänge von Politik, Gesellschaft, Religion und Wirtschaft bei den Studierenden erkennen konnten und diese Geschichte verstärkt als Zusammenspiel von Prozessen wahrnahmen.

Courtnay Konshuh und Frank Klaassen („The Renaissance Marriage Game: A Simulation Game for Large Classes“) haben ein analoges Simulationsspiel entwickelt, das sich für eine große Anzahl an Studierenden eignen sollte. Inhalt des Renaissance Marriage Games war die Vermittlung des „Heiratsmarktes“ in der italienischen Renaissance. Die Studierenden repräsentierten dabei jeweils in Kleingruppen eine italienische Familie zur Zeit der Renaissance mit verschiedenen Variablen wie etwa der Anzahl und dem Geschlecht der Kinder, dem Vermögen der Familie sowie einem bestimmten Wert an „Pietät“, außerdem einer Familiengeschichte und -reputation. Ziel des Spiels sollte sein, die „eigenen“ Kinder bestmöglich zu versorgen, etwa durch Heirat, wofür die Kursteilnehmenden untereinander verhandeln mussten. Mithilfe dieser Simulation sollten Studierende durch das Storytelling und die gegebenen Entscheidungsmöglichkeiten nachempfinden können, wie sich Menschen in der italienischen Renaissance verhalten und miteinander agiert hätten. Wenngleich die Vorteile des immersiven Lernens deutlich werden, hat dieses Konzept seine Schwächen, denn es stellt sich die Frage, welche geschichtswissenschaftlichen Kompetenzen Studierende in einem solchen Format erwerben, insbesondere da aus dem Aufsatz nicht hervorgeht, wie umfangreich etwa der Kurs durch klassische Vorlesungs- oder Seminarformate ergänzt und durch Reflexionsphasen begleitet worden ist. Auch ist etwas unklar, wie und auf welcher Quellenbasis die „Familiendaten“ generiert worden sind und nach welchen Maßstäben etwa Reputation und Pietät ausgemacht wurden (das Modell erinnert sehr an solche wie z.B. im Strategiespiel Crusader Kings). Deutlich positiv hervorzuheben sind dennoch das hohe Engagement der Studierenden und die Interaktion untereinander, die durch dieses Kursmodell erreicht worden sind.

Robert Houghton („Playing the Investiture Contest: Modding as Historical Debate in the Undergraduate and Postgraduate Classroom“) hat ebenfalls ein analoges Spiel für seinen Kurs entwickelt, der Ansatz ist jedoch ein anderer: Anstatt dass die Studierenden ein Spiel spielen sollten, um etwas zu lernen, diskutierten die Studierenden über das Spiel und modifizierten dessen Regeln, um zu hinterfragen, mit welchen Spielmechaniken ein Argument über historische Prozesse gemacht wird und warum. Modding ist bei vielen digitalen Spielen integraler Bestandteil der Spielecommunity, doch sind die Zusammenhänge sehr komplex und voraussetzungsreich, weshalb sich Houghton dafür entschieden hatte, ein analoges Spiel zu entwickeln, um es von den Studierenden diskutieren zu lassen. Die Studierenden hatten außerdem im Vorhinein ein Modul zum Thema Kirche, Gesellschaft und Konflikt besucht und waren mit Forschungslage und Quellenmaterial zum Investiturstreit vertraut. Ziel des Einsatzes vom Spiel als Ergänzung zum Kurs war es, dass die Spielregeln und -mechaniken, die die Hintergründe des Investiturstreits widerspiegeln sollten, von den Studierenden kritisch hinterfragt und angepasst werden. Somit sollten die Studierenden nicht nur die komplexen Sachverhalte des Investiturstreits leichter nachvollziehen können, sondern auch verstehen, inwiefern ein Geschichtsspiel durch seine Regeln ein historisches Argument macht. Wenngleich Houghton einwirft, dass die Entwicklung und der Einsatz des Spiels sich als sehr zeitaufwändig gestalteten, liefert er überzeugende Argumente für ein solches vielversprechendes Lernmodell.

Die fünfte Sektion des Bandes, in der es um den außerschulischen Einsatz von Spielen gehen soll, umfasst neben einem längeren Schlusskapitel des Herausgebers lediglich einen weiteren Aufsatz („The Soundscapes of the York Mystery Plays: Playing with Medieval Sonic Histories“): Mariana López, Marques Hardin und Wenqi Wan zeigen anhand der York Mystery Plays, einer Reihe von gesungenen Stücken, die zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert auf den Straßen von York aufgeführt wurden, wie sich die Soundscapes solcher Aufführungen rekonstruieren und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar machen lassen. Erarbeitet wurde damit kein Spiel im klassischen Sinne, sondern ein interaktives Interface im Stil von role-playing games, in dem sich eine große Bandbreite verschiedener Sounds auswählen und gleichzeitig abspielen lässt und das zum Kontext der Stücke zusätzliche Informationen bietet. Anschaulich und transparent erläutern die Autor:innen ihren Arbeitsprozess und erklären, inwiefern der Aufbau des Interfaces im Rollenspieldesign zur Immersion und Anregung der Rezipient:innen beitragen soll.

Die Aufsätze sind allesamt sehr praxisorientiert aufgebaut, positiv hervorzuheben ist auch, dass einige Autor:innen von unerwarteten Schwierigkeiten schreiben und wie sie ihnen in der Lehrpraxis begegnet sind. Der Band bietet eine insgesamt hilfreiche Sammlung von Beispielen für den Einsatz von Spielen mit Mittelalterbezug in der Lehre. Insbesondere da im deutschsprachigen Raum momentan etwas umfangreicher über den Einsatz von Spielen in der Schule gesprochen wird, stellt dieser Band mit Fokus auf die Hochschulpraxis und aus internationaler Perspektive eine sehr lesenswerte Ergänzung an Lehrbeispielen dar.

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